Präsidium und Geschäftsbereich Berufsbildung beantworteten Fragen der Presse zum Thema offene Ausbildungsplätze im Handwerkskammerbezirk
Pressekonferenz zur Lage am Ausbildungsmarkt: v.l.n.r. Leiterin Geschäftsbereich Berufliche Bildung der Handwerkskammer Claudia Orth, Präsident der Handwerkskammer Klaus Hofmann, Präsident der IHK Manfred Schnabel und Geschäftsführer Berufsbildung IHK Harald Töltl | © Handwerkskammer

Pressemitteilung vom 27.06.2022Viele Ausbildungsstellen noch unbesetzt - Bewerbungen lohnen sich auch jetzt noch

Viele Ausbildungsstellen noch unbesetzt - Bewerbungen lohnen sich auch jetzt noch

Die Schere zwischen Lehrstellenangebot und Bewerbern geht weiter auseinander, stellen IHK und Handwerkskammer fest - und fordern daher ein Umdenken in der Wahrnehmung von Ausbildung

In einer gemeinsamen Pressekonferenz nahmen Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar und Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald Stellung zur angespannten Lage am Ausbildungsmarkt. Beide Kammern berichteten übereinstimmend von noch zahlreichen offenen Lehrstellen. Die Schere zwischen dem Angebot an Ausbildungsplätzen und Bewerbern gehe weiter auseinander. So finden sich in der Online-Lehrstellenbörse der IHK für 2022 noch 833 offene Stellen, bei der Handwerkskammer sind es aktuell noch 512 unbesetzte Ausbildungsplätze.

"Die Unternehmen haben sowohl im Vergleich zum Vorjahr als auch zu 2020 in allen Teilregionen mehr freie Ausbildungsstellen gemeldet, während die Zahl der gemeldeten Bewerber zurückging", verwies Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar, auch auf die Zahlen der Arbeitsagentur. Laut einer IHK-Umfrage unter den Ausbildungsbetrieben habe es im noch laufenden Ausbildungsjahr je ausbildungsberechtigtem Unternehmen im Durchschnitt 2,1 freie Ausbildungsplätze gegeben. "Das heißt, wir haben alleine im noch laufenden Jahr rund 4.000 offene Lehrstellen", so der IHK-Präsident. Das hieße, dass anders als in den Vorjahren auch jetzt noch eine Bewerbung für das bald startende Ausbildungsjahr möglich und sinnvoll sei. "Wer noch zögern sollte: Gebt euch einen Ruck! Bewerbt euch jetzt! Es lohnt sich!", appellierte der IHK-Präsident an die jungen Erwachsenen. Als Gründe für die vielen freien Lehrstellen geben in der IHK-Umfrage fast zwei Drittel an, dass geeignete Bewerber fehlen, ein Drittel habe erst gar keine Bewerbungen erhalten.

Auch der Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, Klaus Hofmann, bestätigte den Trend zu einer wachsenden Anzahl von unbesetzten Lehrstellen. Im Vergleich zum Mai 2021 sind laut Online-Lehrstellenbörse aktuell 103 Ausbildungsplätze mehr frei. "Heute sprechen wir von 512 freien Lehrstellen, im Mai 2021 waren es 409 und im Mai 2020 nur 208", so der Präsident. Auch vor Corona waren zum selben Zeitpunkt im Jahr 2019 mit 278 gemeldeten freien Lehrstellen in den Handwerksbetrieben der Region weitaus weniger im Angebot als heute.

Je nach Berufsgruppe stellt sich die Situation sowohl bei der Handwerkskammer als auch bei der IHK sehr unterschiedlich dar. So liegt die Zahl der zum 31. Mai 2022 eingetragenen Ausbildungsverträge im IHK-Bezirk im Bereich der kaufmännischen Berufe bei 938 und damit plus 2,5 Prozent über dem Vorjahresvergleich, während im Bereich gewerblich-technischer Berufe nur noch 575 und damit 10,3 Prozent weniger registriert wurden. "Gerade bei den MINT-Berufen, die für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik stehen, ist der Mangel an Fachkräften und an Auszubildenden schon seit Jahren sehr groß", sagte IHK-Präsident Manfred Schnabel und verwies auf einen großen Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich, ohne die die ökologische Transformation und Digitalisierung nicht zu bewältigen sei.

Dass der Mangel an Fachkräften unmittelbar mit dem Mangel an Ausbildungswilligen verknüpft sei, besorgte auch Handwerkskammer-Präsident Klaus Hofmann. "Im Handwerk fehlen bundesweit mindestens eine Viertel Million Fachkräfte", sagte er. "Gleichzeitig sind in Deutschland derzeit zwischen 15.000 und 20.000 Ausbildungsstellen unbesetzt." Damit liegt man auf ähnlichem Niveau wie 2021, als bundesweit 18.800 Ausbildungsstellen im Handwerk frei blieben. Zwar habe man im Kammergebiet zuletzt insofern einen Aufwärtstrend festgestellt als die Zahl der im Jahr 2021 neu geschlossenen Ausbildungsverträge mit 1.644 ein Plus von rund 2,5 Prozent gegenüber den 1.604 des Vorjahres verzeichne, doch könne dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der Handwerkslehrlinge insgesamt seit Jahren in der Region zurückgehe.

Die IHK macht hierbei mit dem Neckar-Odenwald-Kreis ein besonderes Sorgenkind aus. Die Zahl an Ausbildungsverträgen mit Stand zum 31. Mai 2022 weist ein Minus von 21,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresvergleich aus. "Diese Entwicklung ist auch deshalb besorgniserregend, da gerade im Neckar-Odenwald-Kreis die Stakeholder der beruflichen Bildung unheimlich viel tun, um junge Menschen für eine duale Ausbildung zu gewinnen", so der IHK-Präsident. "Dennoch konnten diese Aktivitäten den Trend noch nicht stoppen." Auch bei den gewerblich-technischen Berufen sei die Entwicklung in keiner Gebietskörperschaft des IHK-Bezirks positiv und damit sehr bedenklich. "Aus Gesprächen mit Unternehmen wissen wir, dass sich mittlerweile auch große und bekannte Firmen schwer tun, ihre Ausbildungsplätze in diesem Segment zu besetzen", sagte Manfred Schnabel.

Um die Negativ-Tendenzen zu stoppen sei dringend Handlungsbedarf angezeigt, betonte der Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, Klaus Hofmann. "Wir brauchen einen Imagewandel, einen gesellschaftlichen und politischen Wandel, was die Bewertung von Arbeit anbelangt, einen Wandel im Bewusstsein, dass Ausbildung ebenso viel zählt wie ein Studium, einen Bildungswandel", sagte er. "Es hat etwas mit Wertschätzung zu tun, wenn jemand, der nach einem Studium am Schreibtisch sitzt, besser angesehen ist als jemand, der mit seinen Händen arbeitet." Gerade in Gesprächen mit den Ausbildungsbotschaftern, die für die Handwerkskammer an Schulen unterwegs sind, um von ihrem Weg ins Handwerk zu erzählen, verdeutliche sich die Notwendigkeit zur Aufklärung. Denn für viele stehe eine Ausbildung gar nicht zur Debatte, weil sie weder von Familie noch von Freunden oder Schule thematisiert werde.

Der Präsident der IHK sieht es ein Stück weit in der Hand der Politik, "die Krise am Ausbildungsmarkt zumindest nicht zu verschlimmern". Es mangele nicht an Ausbildungsplätzen, sondern an einer realistischen Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen. "Politik, Kammern, Verbände und Gewerkschaften sollten einen Solidarpakt für die berufliche Bildung schließen", sagte Manfred Schnabel. Inhalt sollte die Garantie einer realistischen Berufsorientierung für alle Absolventen allgemeinbildender Schulen sein. Von der Diskussion um die so genannte "Dienstpflicht", also eines Gesellschaftsjahres, hält der IHK-Präsident hingegen nichts. Den Betrieben ginge dadurch ein kompletter Ausbildungsjahrgang verloren.

Praktika allerdings könnten ganz wunderbar zeigen, was einen Beruf ausmache, sagte Präsident Klaus Hofmann. Die Handwerksbetriebe der Region täten schon ihr Bestes, um möglichst vielen Interessierten diese Möglichkeit zu geben. "Allerdings können sie nicht alles leisten. Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr Praxis in die Schulen einkehrt", so der Handwerkskammer-Präsident. Generell wünschte er sich eine bessere Aufklärung und ein Bewusstsein dafür, welch große Chancen eine Ausbildung biete. Dazu gehöre neben der Aussicht auf einen sicheren Job auch die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen. "Bundesweit sprechen wir von mindestens 125.000 Handwerksunternehmen, die in den nächsten fünf Jahren vor der Übergabe stehen", so Klaus Hofmann. "Heruntergebrochen auf unsere Region wären das knapp 1.650, die in absehbarer Zeit einen Nachfolger brauchen."

Marina Litterscheidt

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